Die Opfer der Modeindustrie: Eine Fabrik als Todesfalle in Pakistan
Wie viel hat deine Jeans gekostet? Hinter den Preisschildern unserer Kleidung verstecken sich tödliche Kosten für die Menschen, die sie herstellen.
Leicht zugängliche Treppenhäuser. Genügend Ausgänge. Deutlich gekennzeichnete Fluchtwege. Ein funktionierender Feuermelder. Das sind nur wenige einfache Maßnahmen, die das Leben von 258 Mitarbeiter*innen der Fabrik von Ali Enterprises in Karatschi, Pakistan, hätten retten können.
Als am Abend des 11. September 2012 in der Textilfabrik ein Feuer ausbrach, wussten die Mitarbeiter:innen nicht wohin. Sie waren gefangen in einem Labyrinth aus blockierten Notausgängen, vergitterten Fenstern und Türen, die nirgendwohin führten.
Wer trägt also die Verantwortung für das Geschehene?
Die Fabrik produzierte zwar Textilien für mehrere Einzelhändler, jedoch kaufte der deutsche Discounter KiK bis zu 75 % ihrer Produkte und war damit Hauptkunde.

Als „Big Boss“ hätte KiK die Macht gehabt, bessere Brandschutzstandards einzufordern. KiK behauptet, die Fabrik regelmäßig besucht und sogar Zertifizierer gebeten zu haben, die Arbeitsbedingungen zu beurteilen. Das bedeutet, dass KiK die Zustände im Werk kannte – oder über diese hätte Bescheid wissen müssen.
Also ein klarer Fall, oder? Nicht so schnell.
Anstatt für die Sicherheitsmängel Verantwortung zu übernehmen, schoben KiK, die Fabrikbesitzer, die pakistanischen Behörden und der italienische Zertifizierer RINA, welcher wenige Wochen vor dem tödlichen Brand ein Zertifikat ausgestellt hatte, das die hohen Sicherheits- und Sozialstandards der Fabrik bestätigte, sich gegenseitig die Schuld zu.
Schlussendlich stimmte KiK zwar Nothilfezahlungen von einer Million US-Dollar zu, lehnte jedoch die Verantwortung für die Todesfälle ab. Für die vom Brand betroffenen Arbeiter*innen und Familien war dies ein Schlag ins Gesicht.

2015 klagten vier Betroffene mit Unterstützung der deutschen NGOs ECCHR und medico international vor einem deutschen Landgericht gegen KiK und forderten 30.000 Euro Schadensersatz pro Kläger:in. Das Gericht wies die Klage aufgrund einer Formsache im pakistanischen Recht ab.
Fazit: Bis heute hat kein Gericht jemals darüber entschieden, ob KiK zumindest Mitverantwortung für die Toten und Verletzten trägt.
Dies ist nur eines von vielen Beispielen für die hässliche Kehrseite globaler Lieferketten: Auf der ganzen Welt schuften Arbeiter:innen und werden zu unzähligen Überstunden gezwungen, nicht krankgeschrieben und sogar bedroht und eingeschüchtert, wenn sie ihre Rechte einfordern.
Die Herstellung unserer T-Shirts und Jeans ist mit derartigen Menschenrechtsverletzungen eng verknüpft. Und dieser schreckliche Preis wird uns als fantastisches Angebot untergejubelt.
Können sich die Dinge also jemals wirklich ändern?
Ja – die Antwort lautet immer ja. Ein starkes EU-Lieferkettengesetz kann das Offensichtliche in einem konkreten Gesetz festhalten: Unternehmen tragen die Verantwortung für Schäden, die entlang ihrer Lieferketten passieren.
Obwohl KiK zugestimmt hat, den Familien der Opfer eine zusätzliche Entschädigungssumme zu zahlen, übernimmt das Unternehmen weiterhin keine Verantwortung.

Das Gesetz kann auch diejenigen, die unter schlechter Unternehmenstätigkeit leiden, in die Lage versetzen, vor Gerichten in Europa Gerechtigkeit zu erlangen. Aufgrund seiner chronischen Herz- und Lungenproblemen, kann Muhammad Hanif – wie viele die das Feuer bei Ali Enterprises überlebt haben – nicht mehr arbeiten. Für eine Entschuldigung und Schadensersatzzahlungen von KiK dürfte es gar nicht erst so lange dauern. Vielmehr sollte überhaupt keine Zeit verstreichen.
Einfach ausgedrückt: Arbeitnehmer:innen sind Menschen. Es ist also höchste Zeit, dass sie von Unternehmen auch als solche behandelt werden und nicht nur wie gewinnbringende Maschinen für das eigene Geschäft. Sollten Unternehmen dies nicht aus eigenem Antrieb tun, braucht es ein Gesetz, das menschenwürdige Arbeitsbedingungen als einzige Option durchsetzt.