Ein belgisches Einkaufszentrum, gebaut mit unbezahlter Arbeit

Ein undurchsichtiges Netzwerk von Unterverträgen auf einer Baustelle in Charleroi (Belgien) trieb Arbeiter an den Rand des Selbstmords. Sie mussten unter schwer missbräuchlichen Bedingungen arbeiten und wurden gezielt voneinander getrennt, damit sie sich nicht kollektiv zusammenschließen konnten.

Rive Gauche ist ein Einkaufszentrum in Charleroi, gebaut von 2014 bis 2017. Wie bei vielen Projekten beauftragte der Bauherr – die kanadische Groupe St. Lambert – mehrere Organisationen mit der Bereitstellung von Arbeitskräften und der Überwachung des Bauprozesses.

Dieses Spinnennetz aus Subunternehmern und unauffindbaren Firmen führte zu einem Albtraum. Die Groupe St. Lambert unterzeichnete einen Vertrag mit den einflussreichen belgischen Bauunternehmen Valens s.a. und Duchene s.a. (Valens-Duchene). Diese wiederum vergaben die Bauarbeiten an das italienische Unternehmen Consorzio edile, das dann die Gruppo Bison s.r.l. unter der Leitung von Aldo Bison mit der Verwaltung des Vertrags beauftragte.

Doch damit nicht genug. Die Gruppo Bison kontrollierte Hunderte von Baustellen, hatte aber keinen einzigen registrierten Mitarbeiter. Stattdessen beauftragte sie kleine, teils dubiose Unternehmen mit der Bereitstellung von Arbeitskräften für Baustellen in Europa.

Die Arbeitnehmer wurden ohne Arbeitserlaubnis nach Belgien geschleust – manche wussten nicht einmal, dass sie illegal transportiert und beschäftigt wurden. Unternehmen machten dicht, bevor sie ihre Arbeiter bezahlt hatten. Die Arbeiter wurden je nach ihrer Nationalität unterschiedlichen Vorgesetzten und Unterkünften zugeteilt. Lange Arbeitsschichten waren die Regel. Selbst nach Inspektionen kam es weiterhin zu Arbeitsmissbrauch und wer für Arbeitsschutz und Sicherheit der Bauarbeiter zuständig war, blieb unklar.

Am 14. April 2016 gipfelten die entstehenden Spannungen darin, dass sieben ägyptische Arbeiter auf einen Kran kletterten und drohten, hinunter zu springen, wenn man ihnen ihren Lohn nicht zahlte.

Wie bei Sozialdumping üblich, wurde dieses ganze Konstrukt von Unternehmen bewusst so organisiert, dass die Gewinne und die Macht bei den Hauptauftragnehmern bleiben und das Risiko und die Verantwortung auf die kleineren, oft ausländischen Unternehmen ausgelagert wurden
Carlo Briscolini, Generalsekretär der Fédération Générale du Travail de Belgique (Allgemeiner Gewerkschaftsbund Belgiens) Charleroi

Valens-Duchene konnte sich seiner Verantwortung entziehen, indem es die Vereinbarung mit Consorzio edile und der Bison-Gruppe auflöste. Folglich musste dann Consorzio allein für die Nachzahlung von 77 Löhnen seiner Arbeiter aufkommen und 500.000 Euro Strafe an Valens-Duchene zahlen.

Doch auch damit war die Angelegenheit noch nicht geklärt. Nur zwei Monate später protestierten acht rumänische Arbeiter auf der Baustelle gegen die Arbeitsbedingungen und wurden auf der Straße verprügelt. Die Manager ihres Subunternehmens boten ihnen Schweigegeld an, um sie ruhigzustellen.

Im März 2017 präsentierte die Bison Group dann stolz einen Vertrag, der behauptete, dass alle Arbeiter bezahlt worden wären. Alle auf der Baustelle Beschäftigten hatten ihn unterzeichnet – aber das waren Arbeiter, die ihre Arbeitserlaubnis nur behalten konnten, wenn ihr Vertrag verlängert wurde, die also unter enormem Druck standen.

Ähnliche Praktiken bei der Vergabe von Unteraufträgen und der Missbrauch von Arbeitnehmerrechten sind im Bausektor und anderen Branchen in Europa nach wie vor weit verbreitet. Verwirrende Geschäftsmodelle und ausbeuterische Praktiken spalten die Belegschaft, vereinfachen die Verletzung von Arbeitnehmerrechten und erschweren die Ermittlung der Verantwortlichen.

Der Bau von Rive Gauche zeigt, wie schwierig es ist, rücksichtslose Unternehmen zur Verantwortung zu ziehen, selbst in der Europäischen Union.

Es zeigt auch, dass Arbeitnehmende in Due-Diligence-Beratungen und wichtige Entscheidungen einbezogen werden müssen, um sicherzustellen, dass sie Zugang zur Justiz haben.

Wenn große Unternehmen gegen Arbeitnehmerrechte verstoßen, halten sie sich in der Regel an die Verwaltungsvorschriften
Carlo Briscolini, Generalsekretär der Fédération Générale du Travail de Belgique (Allgemeiner Gewerkschaftsbund Belgiens) Charleroi

Ohne ein EU-Gesetz, das die Menschenrechte in der gesamten Wertschöpfungskette sicherstellt, werden auch zukünftig Arbeitnehmer an den Rand der Verzweiflung getrieben.

Unterschreibe den Aufruf

UNSERE FORDERUNGEN

Wir fordern ein Sorgfaltspflichtgesetz, das:

  1. Unternehmen dazu verpflichtet, Menschenrechte, Umwelt und Klima zu respektieren.
  2. Unternehmen strenge, sachliche Verpflichtungen auferlegt, um Schaden abzuwenden und zu beenden.
  3. Muttergesellschaften für Schäden die entlang ihrer Lieferketten passieren haftbar macht. Es darf in Zukunft keine Schlupflöcher mehr geben!
  4. Tarifverhandlungen durch Gewerkschaften garantiert und Arbeitnehmer:innenvertreter:innen ein echtes Mitspracherecht bei der Sorgfaltspflicht gibt.
  5. zur Bewältigung der Klimakrise beiträgt, indem Unternehmen dazu gebracht werden, die Emissionen entlang ihrer gesamten Wertschöpfungskette zu senken.
  6. den Planeten schützt, indem es Unternehmen für alle möglichen Umweltschäden zur Verantwortung zieht.
  7. Sorgfaltspflichten auf alle Geschäftsbeziehungen entlang von Wertschöpfungsketten anwendet.
  8. Menschen, die durch schlechte Geschäftspraktiken geschädigt wurden, Gewerkschaften sowie die Zivilgesellschaft dazu befähigt, vor EU-Gerichten Gerechtigkeit zu erlangen.
  9. alle Personen konsultiert, die von Unternehmenstätigkeiten betroffen sind oder betroffen sein könnten, und bei Bedarf deren Zustimmung einholt.
  10. Vollzugsbehörden die Befugnis einräumt, Unternehmen gründlich zu untersuchen und zu sanktionieren.
Erfahre mehr